1900 – der Beginn des Skisports in den europäischen Alpen

Der Ski wurde als zweites “künstliches” Fortbewegungsmittel überhaupt erfunden. Erst kam das Kanu (ca. 8500 vor Christus) und dann, etwa 3000 Jahre vor dem Rad, der Ski um 6500 vor Christus!

Der Drang höher, weiter, schneller und natürlich auch immer extremer an die Grenzen zu gehen, scheint in der Natur des Menschen verankert zu sein. Dieser Drang erstreckt sich auf alle Lebensbereiche und insbesondere sportliche Herausforderungen. Die Geschichte des Steilwandskifahrens ist lang, fast so lang wie die des modernen Skilaufs selbst. Der Blick zurück zeigt, dass es eine logische Entwicklung von den ersten flachen Skifahrten durch die Jahrzehnte hin zur alpinistischen Disziplin Steilwandskifahren gab.

Ganz am Anfang steht die Verbreitung der Ski als Sportgerät im Alpenraum. Vom Grönlanddurchquerer Fridtjof Nansen inspiriert, nahmen ab etwa 1890 zunehmend auch Alpinisten die Ski mit in die Berge. Instabile Telemarkbindungen mit viel Spielraum auf den langen Skiern, wie sie zur Bewältigung langer Märsche geeignet sind, schränkten den Einsatzbereich allerdings stark ein. Geringer Kantengriff und mangelnde Skitechnik verhinderten allzu steile Abfahrten.

Die sogenannte „Schuss-Bum“ Technik war Standard. Der Skifahrer fuhr zunächst gerade aus, also Schuss – und um dann eine Richtungsänderung durchzuführen oder die Fahrt zu stoppen, lies er sich fallen. Bum. Die Mängel der Schuss-Bum Technik sind spätestens seit dem vermehrten Bau von Skidiscohütten, die im Weg stehen können, offensichtlich.

Matthias Zdarsky (gelegentlich auch Mathias geschrieben), der Begründer des modernen Skifahrens in den Alpen, hatte eine Idee. Er verstärkte die Verbindung zwischen Schuh und Ski. Eine Stahlsohle mit Führungsschienen hielten den Schuh fest. Nach dem Entstehungsort der Bindung nannte er sie Liliental-Stahlsohlenbindung (in manchen Quellen  Lilienfeld-Stahlsohlenbindung). Erst diese steife Bindung ermöglichte einen direkteren und vor allem festeren Kontakt zwischen Schuh und Ski. Es wurde möglich die Ski direkter durch Krafteinsatz zu steuern, mit aktivem Kanteneinsatz zu fahren.

Die passende Skitechnik entwickelte Zdarsky gleich mit. Er nannte seine Technik „Schlangenschwung“, da die Abfahrtslinien einer Schlange glichen. Der Erfinder veranstaltete schließlich Skirennen bei denen nicht gestürzt werden durfte, bzw. derjenige mit der besten Zeit und den wenigsten Stürzen gewann. Es dauerte allerdings bis in die 1930er Jahre, bis die deutschsprachigen Skiverbände diese Art der Wettkämpfe akzeptierten – sie hatten zuvor gegen Zdarskys Technik erbittert gekämpft. Um international, anlässlich der Olympischen Spiele in Chamonix, vergleichbar zu sein, mussten sie die Technik auf Drängen der Nationalsozialisten annehmen.

Zdarsky überzeugte seine Gegner jedoch auch durch immer steilere Abfahrten. Von bis zu 40° steilen Rinnen ist zu lesen. Beispielsweise die breite Ries in der Rax-Schneeberge-Gruppe an der Steirisch-Niederösterreichischen Grenze. Sie weist 35° Neigung auf, kurze Teilstücke mehr. Mit nur einem langen Stock, wie damals üblich, zog er seine Bögen im Beisein eines staunenden Publikums. Sein Ziel war dabei die Überlegenheit seiner Skitechnik sowie der Bindung zu demonstrieren. Das gelang – Hunderte besuchten seine Skikurse.

Für das Steilwandskifahren ist Zdarsky entscheidend, da steile Abfahrten durch die von ihm entwickelte Bindung und wesentlich kürzeren Ski, als den bis dahin üblichen sehr langen Telemarkski aus Skandinavien, sowie der Technik des Stemmbogens, möglich wurden.

Was ist Steilwandskifahren? Ski extrem?

Steilwandskifahren ist Skifahren an der Haftungsgrenze der Skikanten auf dem Untergrund Schnee in steilem Gelände abseits von Skipisten. Das klingt jetzt etwas sperrig. Der Realität entspricht es auch nicht. Der Untergrund Schnee ist variabel – sehr variabel sogar. Von lockerem Pulverschnee bis hin zu bombenfestem Eis ist alles möglich. Pulverschnee bringt Abfahrtsspaß und hält tödliche Lawinen bereit – Eis ist lawinensicher und zuverlässig solange man fest steht, andernfalls erlebt man eine rasante Rutschpartie.

Gemixt mit steilen Hängen oder Rinnen ergibt sich so ein recht spannender Mix. Doch was ist überhaupt steil? Die Harakiri Skipiste in Mayrhofen in Tirol ist offiziell die steilste Skipiste der Welt. Sie ist in der Kategorisierung (blau = leicht, rot = mittel, schwarz = schwer) tiefschwarz und wird von Marketeers gerne mit Totenköpfen bedacht. Stolze 36 Grad Gefälle sollen es sein, die da von vielen Skitouristen meist rasant als Brummkreisel mehr auf dem Hosenboden als stehend elegant kontrolliert auf Skiern ins Tal absolviert werden. Schon bei diesem Gefälle merken Strauchelnde, dass es kaum ein Halten gibt, wenn die Schwerkraft in die Tiefe zieht. Alles, vom Handschuh bis zum Ski, findet oft erst unten wieder mit dem Gestürzten zusammen.

Update 26.01.2016: Danke an Lorenzo Rieg,und Lea Hartl, die mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass es inzwischen etwas Steileres gibt. Nämlich die Manni Pranger Piste in Steinach am Brenner (bei der Bergeralm), die wohl bis zu 45° Grad hat. Naja, ich fand das Video jetzt nicht so überzeugend, aber mir entgeht vmtl. wieder die Dramatik der lebensbedrohenden Situation.

Doch das ist für Steilwandskifahrer wenig mehr als eine sanft geneigte Wedelpiste. Im allgemeinen Konsens sind es 45 Grad – die Hälfte von 90° – die die Grenze zwischen normalem Skifahren und Steilwandskifahren darstellen. Dabei können 45° in weichem Pulverschnee leicht zu fahren sein, oder ein Horrorfilm auf Eis.

Die Steilheit alleine ist nicht entscheidend. Erst, wenn über eine längere Strecke ein Gefälle von 45° anliegt spricht man von einer Steilabfahrt. Viele Hänge haben kurze steile Stellen – im Extrem wechselt beispielsweise eine Buckelpiste zwischen 0° und 90° ab, aber niemand kommt auf die Idee zu behaupten er wäre hier eine 90° steile Buckelpiste gefahren. Um als Steilabfahrt gewertet zu werden sollte so eine Abfahrt schon einige hundert Meter lang sein.

Als Extrawürze wird der Cocktail aus Steilheit und Länge noch mit gefährlichen Fels- oder Eisabbrüchen, hohen Felswänden oder verblocktem Gelände garniert. Der unvermittelt Stürzende sieht sich dann mit recht großer Gewissheit entweder eine Fels- oder Eiswand hinab stürzen, seinen Sturz an einem Fels abrupt stoppen, wird direkt von einer Lawin einer der vorab genannten Gefahren zugeführt oder von herabfallenden Eis- oder Felsmassen erschlagen.

Das authentische Steilwandskifahren beginnt also in Hängen oder Rinnen, die über mehrere hundert Meter lang über 45° steil sind, bei denen ein Sturz mit großer Wahrscheinlichkeit tödlich endet und zudem ständig alpine Gefahren lauern.

Potentiell wirkt Steilwandskifahren daher auf den ersten Blick nicht, wie Sport meist doch wahrgenommen wird, lebensverlängernd. Aus diesem Grund sind die aktiven Steilwandskifahrer, oder auch Snowboarder, Spezialisten. Um mit den genannten Gefahren umgehen zu können sind spezielle Kenntnisse, Techniken und viel Erfahrung notwendig. Bei einem Blick in die Statistiken zeigt sich dann auch, dass nur ein sehr kleiner Teil der Ausführenden beim Skifahren in steilem Gelände ums Leben gekommen ist. Offenbar wissen die meisten sehr gut, auf was sie sich einlassen.

 

Extremski?

Bis vor einiger Zeit wurde diese Art des Skifahrens noch gerne als Extremski bezeichnet. Die Namensgebung ist irreführend – denn extrem ist individuell unterschiedlich. Was in den Anfängen des Skifahrens extrem, also am äußersten machbaren Limit, war, ist heute normales Skigelände für versierte Tourengänger. Die Grenzen haben sich im Laufe der Zeit verschoben. Dank der zahlreichen Protagonisten, die immer wieder neu definiert haben was möglich ist.

Auch individuell ist „extrem“ sehr unterschiedlich. Kein Steilwandskifahrer mit Rang und Namen, außer denen natürlich, die am Marketingtropf hängen, sagt von sich, er sei Extremskifahrer. Denn irgendwo gibt es sicher jemanden der noch besser, noch steiler, noch ausgesetzter, noch gefährlicher auf Ski unterwegs ist. Der Begriff stammt noch aus Zeiten, als man dachte, dass die Limits erreicht sind. Und doch hat stets jemand gezeigt, dass es noch extremer geht – hat damit die vorhergehenden Leistungen dieser Bezeichnung beraubt. Auch heute sind immer noch minimale Steigerungen möglich. Die Nuancen entscheiden hierbei und sind auch nur noch den Kennern vertraut. Als Laie sieht man den Unterschied nicht oder nur mit technischen Hilfsmitteln, so wie es in jeder Sportart der Fall ist, wenn sich die Besten messen.

Der Begriff Extremski ist daher nicht gerechtfertigt – erst wenn objektiv ein Limit erreicht wird, kann von einem Extrem gesprochen werden. Vieles „Extreme“ ist bei genauerer Betrachtung keine Höchstleistung – auch nicht, wenn man dieses Etikett aufklebt.

Definition

Steilwandskifahren ist eine Randsportart. Viele verwechseln es zunächst auch mit Freeride, mit den wilden Sprüngen von Felsen und spektakulären Aufnahmen bei Wettbewerben. Zahlreiche Elemente haben Freeride und Steilwandskifahren gemeinsam, in essentiellen Punkten unterschieden sie sich jedoch. In jüngster Zeit integriert Freeride immer mehr Steilwandaspekte, was dazu beiträgt, dass die beiden Sportarten teils zusammenwachsen.

Um die Sportart Steilwandskifahren verständlich dazustellen, werden hier Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten mit anderen Disziplinen, ein geschichtlicher Überblick sowie das Verständnis für die Motive der Steilwandskifahrer selbst dargestellt. Die dem Sport eigenen Vorgehensweisen, Techniken und Regeln sowie Stimmen der Protagonisten selbst sollen das Gesamtbild vervollständigen.

Jeder, der etwas beitragen kann und möchte, ist hier herzlich eingeladen.